Hilf mir, es selbst zu tun!

Für uns ist die Pädagogik nach Maria Montessori grundlegend für unser pädagogisches Denken, Fühlen und Handeln. Kinder sehen wir als Subjekte ihres eigenen Bildungsprozesses. Als kompetent handelnde Individuen konstruieren sie ihre eigene Entwicklung, ihr Lernen und ihre Bildung.

Wir sehen uns als aktive Beobachter, die das Kind verstehen lernen wollen. Nur so können wir ihm die Möglichkeit geben, sich einen Raum zu schaffen, in dem es selbsttätig wie selbständig nach seinen Bedürfnissen handeln kann. Wir möchten die Kinder nicht stören, aber auch nicht allein lassen. Wir stehen ihnen mit unserer Kraft und unserem Wissen zur Seite, lassen ihnen aber die Zeit für ihr Denken, ihr Fühlen und ihr Handeln.

„Maria Montessori sah das Kind – wie den Menschen überhaupt – als ganzheitliches Wesen“

Montessoris Bild vom Kind

Das Ziel in der Arbeit nach der Montessori-Pädagogik ist es prinzipiell, das heranwachsende Kind einerseits in seiner Einmaligkeit zu begleiten, es andererseits aber auch die Möglichkeit und Grenzen des Lebens in der Gemeinschaft erfahren zu lassen.


  • Jedes Kind hat einen Immanenten Bauplan

    Maria Montessori sah das Kind – wie den Menschen überhaupt – als ganzheitliches Wesen. Deshalb muss das Kind seinen Körper ebenso entwickeln können wie seinen Geist und seine Seele. Das Kind hat die individuelle Aufgabe, die eigenen, jedem Menschen innewohnenden Möglichkeiten, selbsttätig wahrzunehmen, sie zu verstehen, um anschließend danach handeln zu können. In diesem Zusammenhang sprach Maria Montessori vom „Immanenten Bauplan“ des Menschen (siehe Kapitel „Entwicklungsbegriff“).


  • Jedes Kind muss Gemeinschaft lernen

    Neben dem Ziel des „sich individuell entwickeln Könnens“, sah Maria Montessori die Notwendigkeit, dass das Kind Gemeinschaft erfährt. Nur so kann es ein lebendiger Teil davon werden. Das Kind hat die soziale Aufgabe, die Gemeinschaft wahrzunehmen, ihre Strukturen und Botschaften zu verstehen. So kann es das Zusammenleben lernen. Montessori sprach hier von der „Friedenserziehung“. Das Kind wächst im Rahmen seiner sozialen Verantwortung, denn: „Die Freiheit es Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“

Der Entwicklungsbegriff von Maria Montessori

Maria Montessori war davon überzeugt, dass jeder Mensch mit einem „Rucksack voller Möglichkeiten“ auf die Welt kommt, der ihm von Gott mitgegeben wurde. Sie sprach hier vom „Immanenten Bauplan“. Darüber hinaus glaubte sie, dass jedes Kind über eine angeborene Kraft verfügt, mit dessen Hilfe dieser Bauplan zur Entfaltung gebracht wird. Diese Kraft nannte sie „Horme“.

Diese Sicht auf die Entwicklung des Kindes hat Auswirkungen auch auf die heutige Praxis in unserer Kita. Sie ist der Grund für die große Bedeutung der Freiarbeit im Tagesablauf. Dem Kind wird hierbei Raum und Zeit für seine Entwicklung gegeben. In der Freiarbeit kann es sich in seinem ihm eigenen Tempo die Welt erobern.


  • Sensible Phasen nutzen

    Es ist das Kind selbst, welches spürt und dann entscheidet, was es von innen heraus gern lernen möchte und in einer bestimmten Zeit besonders leicht lernen kann. Diese Zeiten einer erhöhten Lernbereitschaft gilt es für die Entwicklung des Kindes zu nutzen. Für sie prägte Maria Montessori den Begriff der „Sensiblen Phasen“. Es gibt Phasen der Sprach- oder Bewegungsentwicklung, Phasen für das Erkennen von bestimmten Zusammenhängen. Die Montessori-Pädagogik nutzt den inneren Antrieb in einer solchen Zeit mit entsprechenden Angeboten.

    Die Antriebskraft Horme lässt das Kind in seinen Sensiblen Phasen nie ermüden. In seinem Vorhaben, sich schrittweise zu vervollkommnen, steht das Kind immer wieder auf, bis es sein Ziel erreicht hat. Nach dieser Erkenntnis kann nur das Kind selbst sein Lern- und somit auch Entwicklungstempo vorgeben. Deshalb sah Maria Montessori das Kind als „Baumeister seiner selbst“.


  • Hilf mir, es selbst zu tun!

    Das Kind sucht in diesem Prozess die Balance zwischen Eigenständigkeit und Unterstützung. Maria Montessori hat dafür einen Leitsatz geprägt, der uns davor bewahren soll, das Kind in seiner Entwicklungsarbeit zu stören: „Hilf mir, es selbst zu tun!“

Freiarbeit

In der Montessori-Pädagogik und somit auch im Alltag unseres Kindergartens nimmt die Freiarbeit eine herausragende Stellung ein. Die Freiarbeit ist eine täglich stattfindende Zeitspanne, in der das Kind selbst bestimmt,

  • mit was es sich beschäftigt
  • mit wem zusammen es dies tut
  • wie lange diese Beschäftigung andauert
  • an welchem Ort es dieser Beschäftigung nachgeht.

Eine solche Beschäftigung wird in der Montessori-Pädagogik als Arbeit verstanden, weil das Kind dem altersgemäßen Spiel die gleiche Ernsthaftigkeit beimisst, wie der Erwachsene seiner Arbeit. Im Gegensatz zur zumeist zielorientierten Arbeit des Erwachsenen ist jedoch sein Tun mehr von der Freude geprägt. Eine solche Beschäftigung wird als frei verstanden, weil das Kind die freie Wahl seiner Bedingungen hat.


  • Fehler sind Anfang für Neues

    Das Kind lernt darüber hinaus in der Freiarbeit, seine Bedürfnisse wahrzunehmen, sich selbst zu verstehen und einzuordnen. So kann es anschließend für sein weiteres Tun selbsttätig Verantwortung übernehmen. Im Rahmen von Freiarbeit sind Fehler der Anfang für neue Wege.

    Die festen Rahmenbedingungen, die wir den Kindern in unserer Kita für die Freiarbeit bieten, geben dem Kind Sicherheit beim Planen und Durchführen seines Handelns und lassen „Fehler“ zu. Die Selbständigkeit in der Freiarbeit schafft die Voraussetzung, dass das Kind sein eigenes Lerntempo findet und so viele Wiederholungen ausführen kann, wie es zur eigenen Vervollkommnung braucht. Das Kind lernt, einen Fehler als seinen Freund anzunehmen, der dem Kind den richtigen Weg weist.

Die Montessori-Erzieherin in der Praxis

Die pädagogische Fachkraft in der Montessori-Pädagogik sieht sich als eine aktive Beobachterin und Begleiterin des Kindes auf seinem Entwicklungsweg. Ihr Ziel ist es, das Kind in seiner gesamten Persönlichkeit wahrzunehmen und zu verstehen. So kann sie dem Kind eine passende Beziehungsqualität und äußere Umgebung schaffen.

Als Montessori-Erzieher*in muss man sich dabei selbst in den Vorstellungen zurücknehmen, um sich so an den Entwicklungsbedürfnissen des Kindes orientieren zu können. Die pädagogische Fachkraft ist aktiv, wenn das Kind passiv ist. Und sie ist passiv, wenn das Kind aktiv ist.


  • Die pädagogische Fachkraft schafft Vertrauen des Kindes in den eigenen Lernprozess

    Die pädagogische Fachkraft vermittelt dem Kind ein Bewusstsein dafür,

    • dass es bei Bedarf Anleitung und Hilfestellung erfährt
    • dass es durch eigene Aktivität Fertigkeiten und Fähigkeiten erlernt
    • dass es dabei Sinnzusammenhänge erkennen lernt
    • dass es in der Gemeinschaft Begrenzung zu verstehen und zu akzeptieren gibt
    • dass es im Miteinander Wertschätzung und Toleranz erfahren und erlernen kann.

    So erfährt das Kind Sicherheit, Orientierung und Vertrauen in sein Tun.


  • Vorbereitete Umgebung

    In dieser Umgebung findet das Kind die äußere Voraussetzung, für seine selbsttätige Entwicklung. Um es mit den Worten der Montessori-Pädagogik zu sagen: In der Vorbereiteten Umgebung kann es mit der Kraft seiner Horme innerhalb seiner Sensiblen Phasen seinen Immanenten Bauplan ausleben.

    Im Sinne Montessoris zeigt sich in einer Kita die Vorbereitete Umgebung für das Kind durch

    • eine von der Erzieherin geschaffene Ordnung des Raumes mit einer Aufteilung in verschiedene Aktivitätsbereiche
    • Möbel, die der Körpergröße des Kindes angepasst sind, zum Beispiel durch die Höhe der Lichtschalter, der Treppengeländer, der Küchenzeile und der Toiletten
    • offene, frei zugängliche Regale mit übersichtlich angeordneten altersgerechten Entwicklungsmaterialien, die sich an den jeweiligen aktuellen Interessen des einzelnen Kindes und der Gruppe orientieren
    • hauseigene Orientierungshilfen wie z.B. feste Erkennungsmerkmale der einzelnen Räume
    • eine ästhetisch ansprechende Gestaltung
    • ein für alle Gruppen klares und somit nachvollziehbares Ordnungs- und Regelsystem.

    Ein so geordnetes und für das Kind überschaubares Umfeld gibt ihm Sicherheit. So ist es in der Lage, jeden Tag aufs Neue frei zu wählen, womit es sich beschäftigen möchte, und sich eigenständig die dazu notwendigen Materialien zu holen. Das Kind kommt durch die Vorbereitete Umgebung mit seiner inneren Welt und den darin liegenden Bedürfnissen in Berührung. Diese sind für das Kind ein Anreiz, selbsttätig zu Handeln und sich die Welt zu erschließen. Die Vorbereitete Umgebung macht so das pädagogische Prinzip „Hilf mir, es selbst zu tun!“ erst möglich.


  • Von der äußeren zur inneren Ordnung

    Die äußere Ordnung der Vorbereiteten Umgebung führt bei den Kindern im Laufe ihres individuellen Lernprozesses zu einer inneren Ordnung. Auf Basis der sicheren Bewegung in der Kita kann das Kind angstfrei seinen Entscheidungsspielraum erweitern und auf andere, auch außerhalb des Kinderhauses gelegene Situationen übertragen.

    Die Vorbereitete Umgebung in unserer Kita unterliegt der ständigen Veränderung, bedingt durch die sich verändernden Interessen der heranwachsenden Kinder und die neuen Erkenntnisse der Kleinkindforschung.

Montessori-Materialien

Das von Maria Montessori entwickelte didaktische Material ist ein wichtiger Bestandteil der Vorbereiteten Umgebung für das Kind. Das Material hat einen Aufforderungscharakter: Es regt dazu an, sich mit ihm in eindeutiger Weise zu beschäftigen. Bestimmte Strukturen geben eine konkrete Aufgabenstellung vor, wie z.B. das Sortieren von kurz nach lang oder von laut nach leise. Weitere Prinzipien sind das Arbeiten von links nach rechts oder im Zehnersystem.


  • Handlungsschritte unabhängig vom Erwachsenen

    Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die im Material eingebaute Fehlerkontrolle. Sie unterstreicht die höchstmögliche Unabhängigkeit des Kindes vom Erwachsenen. Das Kind lernt, Handlungsschritte folgerichtig und selbsttätig zu gehen. Das Material ist damit nicht nur ein Schlüssel zur Welt, sondern auch ein Schlüssel zur Freiheit.

    Maria Montessori hat für folgende Entwicklungs- und Lernbereiche Materialien entwickelt:

    • Tägliches Leben: Pflege der Person, der Umgebung, der Gemeinschaft, der Bewegung…
    • Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Muskelgedächtnis und Gleichgewicht…
    • Sprache: Buchstaben, Wortschatzerweiterung, Pflege der Sprache und Sprachkultur, Sinnzusammenhänge…
    • Mathematik: Zahlen, Mengen, Reihenfolgen…
    • Kosmisches Verständnis: Natur, Erde, globale Zusammenhänge…

    Durch das Hantieren mit dem Entwicklungsmaterial verschafft sich das Kind eine Vorstellung von der Welt, in der es lebt. Denn es ist nichts im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war. Die Montessori-Materialien sind kein Ersatz für die Welt, sondern geben ihm das Rüstzeug, um die Welt und ihre Kultur zu erobern.